Katalogtext "Petra Tödter - Objekte", 2007

Mut zur Konkretion - Zur Arbeit von Petra Tödter

 

Petra Tödter arbeitet mit dem Wissen um das reichhaltige Archiv an Formen, Ideen und Ausdrucksweisen der Kunstgeschichte. Die Genres, in deren Querschnittsbereichen ihre Arbeiten anzusiedeln sind, konkrete Kunst und Minimalismus, haben sich weder durch einen besonderen Hang zum Humor noch durch Tendenzen zur Selbstironie ausgezeichnet, schon gar nicht ging es um eine direkte Hinwendung zu Alltag und Alltäglichkeit. Petra Tödter hingegen bezieht sich in ihrer Arbeit mit einer lässigen und offensiv alltags- und popkulturbezogenen Haltung auf die genannten modernistischen Kunstrichtungen.

 

Das Ziel der jeweiligen Programmatiken war zusammenfassend, künstlerische Produktionssysteme stetig auszudifferenzieren, um zu maximaler Klarheit und Harmonie zu gelangen. Mit und im System der abstrakten Kunst sollten die gestalterischen Bindungen an Formen und Phänomene des Alltags qua Abstraktion überwunden werden bzw. überhaupt nicht erst als Rohmaterial oder als Inhalt der Darstellung verwendet werden. So sieht das Programm nach Theo van Doesburg, dem Mitbegründer der "De Stijl"-Bewegung, vor, sich durch die Reduktion auf die Ausdrucksformen von Malerei selbst, Farbe, Linie und Strich, zu beschränken, um damit ein "ästhetisches Gleichgewicht durch reine Kunstmittel" zu erreichen.

 

Die Einfachheit und Klarheit konkreter Kunst ist in Petra Tödters Arbeit vor allem in der präzisen Materialbehandlung und der fein ausbalancierten Farbkomposition zu spüren. Petra Tödter verwendet für ihre Wand-Skulpturen Teile aus Sperrholz oder aus MDF, die sie zu Objekten verklebt und mit stark signalfarbigen Pigmenten und Lack bemalt. Die Grenzen zwischen den jeweiligen Farbflächen sind von einer Genauigkeit, wie man es etwa aus der amerikanischen Hard Edge Malerei der 60er Jahre kennt. Im Anschluss an den Prozess der Farbgebung werden die Objekte so fein abgeschliffen, bis die Oberflächen- und Kantenstruktur einen fast schon industriell wirkenden Präzisionsgrad aufweist.

 

Die Bemalung ist nicht direkt nach den Kanten ausgerichtet, sondern spielt durch deren Übermalungen mit den räumlichen Bedingungen der Objekte. Mit dieser Technik versieht und überblendet Petra Tödter die physische Logik der Objektkonstruktion mit einer individuellen Farblogik. So schafft sie durch die Kombination der Eigenlogiken von räumlicher Form und flächiger Farbe eine weitere Wahrnehmungsebene. Die Komplexität in diesem Vexierspiel wird noch dadurch gesteigert, dass die Arbeiten häufig in Gruppen arrangiert sind, wie etwa bei 4 Fünfecke (2006) oder Bikini (2006). Dabei werden die Beziehungen der Farben und Objekte zu- und untereinander so durchdekliniert, dass eine Vielzahl möglicher Blickkonstellationen für den Betrachter entsteht. Weil die Arbeiten meist an der Wand präsentiert werden, fungieren sie als Hybride zwischen Malerei und Skulptur und hinterfragen und erweitern damit die genrespezifischen Regeln.

 

Mit Dreiteiler (2005) lassen sich vor allem formale Besonderheiten in Petra Tödters Arbeitsweise hervorheben. Das Werk besteht aus drei gleich großen, asymmetrisch nebeneinander arrangierten Wandobjekten. Die räumliche Anordnung resultiert aus den unterschiedlichen Intensitätsgraden der grellen Farbflächen auf den Einzelobjekten: Nach Brian O'Doherty's Textsammlung Inside the White Cube. The Ideology of the Gallery Space (1976) hat mit der Einführung des White Cubes ein Paradigmenwechsel in der Kunstrezeption und -produktion stattgefunden: Ausgangspunkt für die Betrachtung ist nicht mehr primär die Arbeit als geschlossenes System, sondern der räumliche Kontext. Der Fokus liegt damit auf der Methode, wie der die Arbeit umgebende "leere" weiße Raum gebrochen wird. In diesem Kontext lotet Dreiteiler mit einer dynamischen Hängung die Farbintensitäten der jeweiligen Objekte sowohl in- als auch untereinander, vor allem aber hinsichtlich des aggressiven Eindringens des Gesamtensembles in die weiße Wandfläche und den leeren Raum aus.

 

Eine weitere, zentrale Arbeit der Ausstellung im Künstlerhaus Hooksiel ist mit O.T. (!), (2005/6) benannt. Dabei handelt es sich um eine Wandskulptur aus zwei unterschiedlich großen, aber gleichförmigen und horizontal gespiegelten Objekten in Form eines Ausrufezeichens. In ihrer Anordnung sowie durch das physische, scharfkantige Eindringen in den Raum vermittelt die Arbeit Bestimmtheit und Nachdruck. So entsteht der Eindruck, dass der (Unter-)Titel der Arbeit unmittelbar in eine formale Übersetzung gebracht wurde. Bemerkenswert an dieser Stelle ist, dass Tödter mit den Farblichkeiten arbeitet, mit denen gemeinhin der niederländische Mitbegründer von "De Stijl", Piet Mondrian, in Verbindung gesetzt wird. Rot, gelb und blau stehen emblematisch für populäre Teile seines Werkes und damit auch für die Funktionalisierung von einst als "erhaben" gedachter Kunst zu alltäglichem Design. Mit dieser überaffirmativen Geste ruft Petra Tödter auf heitere und überspitzte Weise zu bewusster Produktion, mutiger Institutionskritik und zu offensiver Auseinandersetzung mit dem kunstgeschichtlichen Archiv auf.

 

Fröhlicher Flügelbruch (2006) ist ein mehrfarbiges Objekt, das wie eine Reihe weiterer Arbeiten von Petra Tödter (Friesenfalter, 2006; Zwei A, 2006; Zwei B, 2006; u.v.a) aus zwei vertikal und axialsymmetrisch gespiegelten, aber gleich großen Teilen besteht. Die Arbeit erweckt den Eindruck, in der Mitte gespalten zu sein und gewährt durch das farblich suggerierte "Innere" einen scheinbaren perspektivischen Einblick in die Konstruktion. Aufgrund der länglichen, geschwungenen Form fühlt man sich an ein abstrahiertes Flugobjekt oder einen Vogel erinnert. Zwar verläuft die Übersetzung hier nicht unmittelbar, doch ist es erneut der Titel, der dem Ganzen eine tiefe und zugleich gelassene Dimension in der Auseinandersetzung mit Kunstgeschichte und Produktion verleiht: Das mit Defekt und Schmerz assoziierte Wort "Flügelbruch" wird durch die Hinzufügung des Adjektivs "fröhlich" positiv umgedeutet. So ist die Arbeit in diesem Sinne als humorvoller Appell zum lustvollen Scheitern zu verstehen – als klare Ansage, immer weiter zu machen.

 

Die Geschwindigkeit der Assoziationen, die sich beim Betrachter einstellen, und deren direkte Verbindungen zu den Arbeitstiteln offenbaren weitere Bezüge zur Minimal Art. Petra Tödter übererfüllt das Minimalismus-Dogma, dass eine Arbeit nicht mehr sein darf, als sie ist – oder vielmehr, dass eine Arbeit nie mehr versprechen sollte, als sie sein kann. Zugleich ironisiert sie dies aber, indem das "Etwas", das eine Arbeit darstellt, tatsächlich ein "Etwas" ist: eben ein Flügel, oder ein Ausrufezeichen – etwas, das wir aus dem Alltag kennen. Es ist aber keinesfalls ein spezifisches Objekt nach Donald Judd, welches sich durch keinerlei Bindung zur alltäglichen Formenwelt auszeichnet, sondern eher im Sinne einer Entität funktioniert.

 

So spielt Petra Tödter in ihrem spezifischen Umgang mit Farbe, Fläche und Raum sowie mit ihren Titelgebungen auf entspannte Weise mit den beschriebenen Aspekten aus der Kunstgeschichte der Moderne. Mit den Methoden von Überaffirmation, Unterminierung und mit technischer Präzision reflektiert und hinterfragt sie in einfacher und klarer Form kunstimmanente Neigungen zu Transzendentalität. Dabei zeigt sie Mut zur Konkretion.

 

Martin Germann